Unser Experte für Behandlungsfehler und Arzthaftung

Prof. Dr. med. Johannes Köbberling

Spezialisierungen: Behandlungsfehler und Arzthaftung. Endokrinologie - Schilddrüse, Diabetes. Methoden zur Evaluierung diagnostischer Maßnahmen

Institution und Position: Ehem. Leiter des Zentrums für Innere Medizin,  Kliniken St. Antonius in Wuppertal. Jetzt im Ruhestand. Professor Emeritus (C4) der Universität Witten-Herdecke. Ehem. Präsident der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Ehem. Mitglied der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft. Bis 2015 Mitglied in der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei derÄrztekammer Nordrhein.

Stand: 14.03.2018

Die Mitschrift des Interviews mit Prof. Dr. med. Johannes Köbberling zum Thema “Behandlungsfehler und Arzthaftung”

Wie sind Behandlungsfehler definiert?

Anstelle des umgangssprachlich noch häufig benutzten und schon auf Rudolf Virchow zurückgehenden Begriffes „Kunstfehler“ wird in der Fachwelt heute nur noch der Begriff „Behandlungsfehler“ verwandt.

Dieser Begriff bezieht sich auf alle Bereiche der ärztlichen Tätigkeit, also nicht nur auf den Kernbereich des ärztlichen Handelns, die Therapie, sondern z.B. auch auf die Diagnostik oder die Nachsorge.

Als fehlerhaftwird eine Behandlung bezeichnet, die nicht dem zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden allgemein anerkannten medizinischen Standard entspricht. Ein Behandlungsfehler stellt somit einen Verstoß gegen den zu fordernden medizinischen Facharztstandard dar.

Der Standard in der Medizin,der zur Erreichung des Behandlungsziels erforderlich ist bemisst sich nicht nur an den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern auch an der langjährigen ärztlichen Erfahrung.

Lässt sich aus sog. Leitlinien der Facharztstandard ablesen?

Leitlinien stellen nicht verbindliche Richtlinien dar. Sie dienen lediglich als Orientierungshilfen für Ärzte, in denen der wissenschaftliche Erkenntnisstand übersichtlich und auf Fragestellungen konzentriert zusammengefasst wird. Sie sind bei weitem nicht immer auf konkrete Fälle übertragbar.

Auch ärztliche Maßnahmen, die sich außerhalb des Rahmens von Leitlinien bewegen, können dem Facharztstandard entsprechen. Bei deutlichen Abweichungen von Empfehlungen in Leitlinien muss der Arzt aber sein Vorgehen begründen können.

Wer stellt einen Behandlungsfehler fest?

Die Frage, ob im Einzelfall eine Abweichung vom allgemein anerkannten medizinischen Standard vorgelegen hat, ist immer durch einen ärztlichen Sachverständigen zu beantworten.

Dies gilt sowohl bei einer Anfrage beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK), bei der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler der Ärztekammern oder bei gerichtlichen Auseinandersetzungen.

Vomärztlichen Sachverständigen muss aber erwartet werden, dass er seine Feststellungen über einen möglichen Verstoß gegen den medizinischen Standard auch für medizinische Laien verständlich begründen kann.

Der Sachverständige darf die Grenzen für einen gültigen Standard nicht zu eng ziehen. Er muss sowohl die ärztliche Therapiefreiheit als auch unterschiedliche Lehrmeinungen zur jeweiligen Behandlungszeit berücksichtigen.

Es gibt keine formale Qualifizierung für ärztliche Sachverständige. Der Auftraggeber muss sich jedoch davon überzeugen, dass ein ärztlicher Sachverständiger über die notwendige Sachkunde in seinem Fachgebiet oder medizinischen Schwerpunkt verfügt.

Er muss außerdem unabhängig sein, darf also nicht in einem wie auch immer gearteten Abhängigkeitsverhältnis zu den Verfahrensbeteiligten stehen.

Sind Diagnosefehler auch Behandlungsfehler?

Auch wenn im allgemeinen Sprachgebrauch unter „Behandlung“ meist die Therapie verstanden wird, ist auch die Diagnosestellung Teil des Behandlungsprozesses. Die gutachterliche Beurteilung möglicher Behandlungsfehler in Form von Diagnosefehlern stellt aber eine große Herausforderung dar.

Ein Arzt kann bei seiner Diagnosestellung sehr gewissenhaft vorgegangen sein und alle geeigneten diagnostischen Mittel eingesetzt haben, und trotzdem kann sich hinterher herausstellen, dass eine völlig andere Krankheit vorgelegen hat, als zunächst vermutet.

Eine solche „Fehldiagnose“ stellt keinen Behandlungsfehler dar.

Grundsätzlich lässt sich also die Richtigkeit der Diagnosestellung nicht aus dem Ergebnis ablesen, sondern lediglich daraus, ob bei der Diagnosestellung nach dem Stand der gegenwärtigen Erkenntnis vorgegangen wurde.

Wann kommt es zur Haftung für einen Behandlungsfehler?

Jeder Behandlungsfehler führt zu einer Betroffenheit, häufig auch zu verständlichem Ärger beim Patienten. Er darf auch niemals einfach hingenommen werden und sollte Anlass für eine Ursachenforschung und für Verbesserungsmaßnahmen sein.

Trotzdem führt der Behandlungsfehler als solcher nicht zu einer Haftung.Die ärztliche Haftung bezieht sich immer auf einen Schaden, der durch einen Behandlungsfehler entstanden ist.

Neben der Feststellung, ob ein Behandlungsfehler vorgelegen hat, muss der ärztlicheSachverständige also immer auch zu der Frage Stellung nehmen, ob ein Schaden entstanden ist, der ursächlich auf den Behandlungsfehler zurückzuführen ist.

Auch wenn unbestreitbar ein Behandlungsfehler und ein Schaden vorliegen, kann es sehr schwierig sein, festzustellen, ob die gesundheitliche Störung ursächlich auf dem Fehler beruht, denn es könnte sich ja auch um eine fehlerunabhängige Entwicklung im natürlichen Verlauf der Erkrankung gehandelt haben.

Nur wenn der ärztliche Sachverständige zu der Überzeugung kommt, dass tatsächlich der Schaden ursächlich auf den Behandlungsfehler zurückzuführen ist, tritt eine Haftung ein.

Eine Arzthaftung entfällt auch immer dann, wenn es sich bei einem Schaden um eine schicksalhaft eingetretene Komplikation einer fehlerfrei durchgeführten Maßnahme handelt.

Welche Rolle spielt die Beweislast?

Wie gesagt setzt eine Haftung des Arztes immer voraus, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Schaden besteht.  Der ärztliche Sachverständige kann aber sehr häufig nur zu der Wahrscheinlichkeit Stellung nehmen, dass dies der tatsächlich der Fall ist.

Eine Haftung tritt nur dann ein, wenn die Wahrscheinlichkeit für einen ursächlichen Zusammenhang sehr hoch ist. Dabei wird keine mathematisch-naturwissenschaftliche Gewissheit verlangt, auch keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“, aber trotz prinzipiell nicht auszuschließender Zweifel muss ein hoher Grad von Gewissheit vorliegen, also eine „praktische Gewissheit“.

In Zweifelsfällen geht dies häufig zu Lasten des Geschädigten aus. Der juristische Fachausdruck für diese unsymmetrische gesetzliche Regelung, an der viele Haftungsverfahren scheitern, lautet „Beweislast des Geschädigten“.

Was bedeutet Beweislastumkehr?

Diese häufig als ungerecht empfundene Beweislast-Regelung findet keine Anwendung, wenn ein„grober Behandlungsfehler“ vorliegt. Als groboder schwer bezeichnet man Fehler, die aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheinen und einem erfahrenen Facharzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfen.

In solchen Fällen reicht es für eine Haftung aus, wenn der ärztliche Gutachter einen ursächlichen Zusammenhang nicht ausschließen kann bzw. nicht für sehr unwahrscheinlich hält.  Durch eine solche „Beweislastumkehr“ wird es für den Patienten sehr viel einfacher, Haftungsansprüche durchzusetzen.

Haftet der Arzt auch bei Diagnosefehlern?

Bei jeder Diagnosestellung muss der Arzt eine subjektive Einschätzung der Befunde vornehmen. Auch wenn hierbei objektiv „falsch“ vorgegangen wurde, spricht man nur von einem „Diagnoseirrtum“, solange es sich um eine vertretbare Deutung der Befunde in der gegebenen Situation handelt. Für Schäden, die sich aus derartigen gedanklichen Irrtümern ergeben, haftet der Arzt nicht.

Bei einem nicht mehr vertretbaren Irrtum bei der Diagnosestellung, also bei einer Verletzung der gebotenen Sorgfalt, spricht man dagegen von einem Diagnosefehler. Dieser wird wie ein Behandlungsfehler bewertet.

Dies bedeutet auch, dass der Arzt haftet, wenn sich aus dem Diagnosefehler ein Schaden ergeben hat und wenn der Schaden ursächlich auf den Diagnosefehler zurückzuführen ist.

Ganz analog zu anderen Behandlungsfehlern kann es auch bei der Diagnosestellung zu einem „groben“ Fehler kommen, der dann zur Umkehr der Beweislast führt. Ein solcher grober Fehler kann zum Beispiel dadurch entstehen, dass eine zwingend gebotene diagnostische Maßnahme nicht durchgeführt wurde.

Wer haftet für ärztliche Behandlungsfehler?

Bei niedergelassenen Ärzten haftet der Verursacher für den Schaden durch einen Behandlungsfehler, also meist der Arzt. Die Haftung des Arztes gilt auch für Fehler seiner „Erfüllungsgehilfen“, z.B. der medizinischen Fachangestellten.

Jeder Arzt ist aufgrund seiner Berufsordnung verpflichtet, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen, die dann für den Schadensausgleich herangezogen wird.

In Kliniken sind Behandlungsfehler häufig nicht einem bestimmten Arzt zuzuordnen. Hier treten die meisten Fehler an sog. „Schnittstellen“ auf und beruhen auf Störungen der Informationsübergabe. Deshalb haftet grundsätzlich der Klinikträger, der für alleseine Mitarbeiter eine pauschale Haftpflichtversicherung abschließt.

Belegärzte und privat behandelnde Chefärzte müssen aber häufig eine persönliche Haftpflichtversicherung abschließen.

Was ist ein Organisationsverschulden und wer haftet in solchen Fällen?

Bei einem Organisationsverschulden kann es zur Haftung eines Arztes oder einer Klinik kommen, auch ohne dass im konkreten Fall ein ärztliches Fehlverhalten vorliegt. Wenn zum Beispiel ein wichtiges Notfallmedikament in einer Klinik nicht vorrätig ist und ein Patient dadurch zu Schaden kommt, dann haftet die Klinik, zu deren Organisationspflichten es gehört hätte, dieses Präparat vorzuhalten.

Ein Organisationsverschulden kann sich auch ergeben, wenn ein Chefarzt im Rahmen seiner Dienstplangestaltung versäumt hat sicherzustellen, dass zu jedem Zeitpunkt der erforderliche Facharztstandard gewährleistet werden kann.

Wer haftet für in der Klinik erworbene Infektionen?

Nicht jede in einer Klinikerworbene Infektion stellt einen Behandlungsfehler dar, denn auch wenn alle Hygienestandards eingehalten werden, ist es nicht grundsätzlich vermeidbar, dass Patienten in der Klinik eine Infektion erwerben.

Bei Verstößen gegen Hygienestandards und dadurch erlittene Infektionen haften der verantwortliche Arzt oder die Klinik, denn solche Verstöße stellen einen Behandlungsfehler dar.

Leider ist aber ein solcher Haftungsanspruch schwer durchzusetzen, denn nur selten gelingt es dem Patienten oder seinen Angehörigen, das Vorliegen eines Hygienefehlers zu beweisen. In solchen Fällen kann es hilfreich sein, sich den Hygieneplan der Klinik vorlegen zu lassen und prüfen zu lassen, ob alle notwendigen Vorkehrungen getroffen wurden.

Wie können Patienten die Gutachterkommission anrufen?

Die Adressen der Gutachterkommissionen bei den Ärztekammern sind im Internet zu finden.

Patienten oder deren Angehörige können selbst oder über ihren Rechtsbeistand die zuständige Gutachterkommission formlos anschreiben und um eine Überprüfung einer ärztlichen Behandlung bitten. Sie erhalten dann verschiedene Unterlagen, die mit entsprechenden Erklärungen zurückgeschickt werden müssen.

Ein Vorwurf gegenüber einem Arzt oder einer Klinik sollte dann möglichst aus Sicht des Patienten begründet werden. Es ist aber auch statthaft, ohne weitere Begründung um die Überprüfung eines Behandlungsvorganges zu bitten.

Wenn möglich sollten schon durch den Geschädigten Behandlungsunterlagen zur Verfügung gestellt werden, damit nicht mit der Beschaffung der Unterlagen durch die Kommission unnötige Zeit verloren geht.

Übrigens können auch Ärzte die Gutachterkommission anrufen, wenn sie sich unberechtigten Vorwürfen ausgesetzt fühlen und zu ihrer Entlastung eine objektive Beurteilung durch eine unabhängige Instanz wünschen.

Wie arbeitet die Gutachterkommission für ärtzliche Behandlungsfehler?

Die Gutachterkommission überprüft zunächst die Anträge auf Vollständigkeit und beschafft gegebenenfalls zusätzliche Unterlagen. Mit diesen Unterlagen beauftragt sie einen sachverständigen Arzt, entweder ein Mitglied der Gutachterkommission selbst oder einen erfahrenen externen Facharzt, der seine Einschätzung der Behandlungsvorgänge in einem Gutachten niederlegt.

Dieses Gutachten wird allen Beteiligten zur Kenntnis gebracht und kann ggf. als Grundlage für einen Schadensausgleich dienen.

Wenn einer der Beteiligten Einwände gegen die Beurteilung durch den Gutachter erhebt, wird ein anderes ärztliches Mitglied der Gutachterkommission zusammen mit einem in Haftungsfragen erfahrenen Juristen gebeten, sich mit den Einwänden auseinanderzusetzen und, gewissermaßen in zweiter Instanz, ein abschließendes Gutachten zu erstatten.

Mit der Versendung des abschließenden Gutachtens ist das Verfahren für die Kommission abgeschlossen.

Entstehen durch die Anrufung der Gutachterkommission Kosten?

Die Anrufung der Gutachterkommission ist für den Patienten oder die Angehörigen, die einen Behandlungsfehler vermuten, grundsätzlich kostenfrei.

Lediglich für den Fall, dass begleitend die Hilfe eines Anwaltes in Anspruch genommen wird, sind die entsprechenden Kosten zu tragen.

Die Arbeit der Gutachterkommissionen wird gemeinsam von den Landesärztekammern und den ärztlichen Haftpflichtversicherungen finanziert.

Sind die Schlichtungsvorschkläge der Gutachterkommission bindend?

Die Gutachterkommission macht keine Schlichtungsvorschläge, sie benennt lediglich mögliche Behandlungsfehler und mögliche Schäden und sie untersucht die Frage des Zusammenhanges zwischen Behandlungsfehler und Schaden.

Ihre Stellungnahmen sind für weitere Auseinandersetzungen nicht bindend. Sie können aber als Basis für Verhandlungen zwischen einem Geschädigten und dem Arzt bzw. seiner Haftpflichtversicherung dienen.

In manchen Fällen wird die Stellungnahme der Gutachterkommission auch nach der Bekräftigung durch ein abschließendes Gutachten durch den behandelnden Arzt, die Klinik oder deren Haftpflichtversicherung nicht akzeptiert.

In diesen Fällen verbleibt dem Geschädigten dann die Möglichkeit der Anrufung eines ordentlichen Zivilgerichts.

Eigentlich hat aber Gutachterkommissionen das Ziel, die Zahl langwieriger, finanziell aufwändiger und oft belastender Auseinandersetzungen vor Gerichten deutlich zu vermindern.

Wie erfolgt der Schadensausgleich für Behandlungsfehler?

Wenn durch einen ärztlichen Sachverständigen ein Behandlungsfehler mit einem gesundheitlichen Schaden festgestellt wurde, muss der Patient, ggf. über seinen Rechtsbeistand, gegenüber der Haftpflichtversicherung des Arztes seinen Anspruch auf ein Schmerzensgeld und einen materiellen Schadensausgleich geltend machen.

In den meisten Fällen wird der Versicherer darauf eingehen und ein Angebot über einen finanziellen Ausgleich vorlegen.

Wenn der Versicherer den Anspruch nicht anerkennt oder wenn keine Einigung über die Höhe des Schadensausgleichs zu erzielen ist, verbleibt dem Patienten oder den Angehörigen die Möglichkeit, den Anspruch vor einem Zivilgericht durchzusetzen. Dabei kann es sehr hilfreich sein, die Sachverständigengutachten bzw. den Bescheid einer Gutachterkommission vorzulegen.

In den meisten Fällen wird allerdings eine neue Begutachtung durch einen vom Gericht beauftragten Sachverständigen eingeholt werden.

Kann bei vermuteten Behandlungsfehlernauch eine Strafanzeige erfolgen?

Im Prinzip ja. Bei Verdacht auf fahrlässige oder vorsätzliche Körperverletzung mit oder ohne Todesfolge ermittelt bei einer Anzeige die Staatsanwaltschaft mithilfe der Polizei.

Eine Verurteilung setzt in solchen Fällen aber eine Ursächlichkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit voraus, was vergleichsweise selten gegeben ist.

Wenn es aber doch zu einer Verurteilung eines Arztes zu einer Geldstrafe kommt, fließt diese nicht dem Geschädigten zu, sondern der Staatskasse oder einer karitativen Einrichtung.

Der geschädigte Patient hat also keinen materiellen Gewinn von der Verurteilung eines Arztes, er könnte lediglich eine Genugtuung empfinden.

Ein Haftungsanspruch, der ja im eigentlichen Interesse des Patienten liegen müsste, kann bis zum Abschluss eines Strafverfahrens nicht gerichtlich verfolgt werden. Insgesamt bringt also die Einleitung eines Strafverfahrens gegenein Arzt für den Geschädigten deutlich mehr Nachteile als Vorteile.

Ist eine fehlende oder mangelhafte Aufklärung ein Behandlungsfehler?

Ärzte schulden den Patienten eine ordnungsgemäße Risikoaufklärung, auf deren Basis der Patient seine Selbstbestimmung wahrnehmen kann.

Eine unterbliebene Aufklärung ist eine Verletzung des Behandlungsvertrages, stellt aber selbst keinen Behandlungsfehler dar.

Indirekt kann eine fehlende Aufklärung aber zu einem Behandlungsfehler führen, weil eine ordnungsgemäße Einwilligung des Patienten zu den jeweils geplanten medizinischen Maßnahmen nur nach einer ordnungsgemäßen Aufklärung möglich ist.

Ohne Einwilligung sind Eingriffe jedoch rechtswidrig. Der Arzt haftet dann für mögliche Schäden, auch wenn die Behandlung selbst ordnungsgemäß erfolgt ist.

Welche Anforderungen werden an die Durchführung der Aufklärung gestellt?

Der Arzt ist verpflichtet, dem Patienten in verständlicher Weise zu Beginn der Behandlung und, soweit erforderlich, in deren Verlauf sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu erläutern, insbesondere die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und die zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen.

Die Aufklärung muss individuell in einem Gespräch mit dem Patienten erfolgen und dokumentiert werden. Vorgedruckte Aufklärungsbögen können das erforderliche Arztgespräch nicht ersetzen, sondern nur unterstützen.

Der Arzt ist nicht verpflichtet, über alle medizinischen Einzelheiten aufzuklären, sondern lediglich „im Großen und Ganzen“.

Die Aufklärung hat so rechtzeitig vor einem geplanten Eingriff zu erfolgen, dass der Patient ohne vermeidbaren Zeitdruck seine Selbstbestimmung wahrnehmen kann.

Muss vor einer Medikamentengabe eine Risikoaufklärung erfolgen?

Da die Gabe eines Medikamentes im weitesten Sinne auch einen Eingriff darstellt, ist auch hierbei eine Aufklärung über die „Risiken und Nebenwirkungen“ erforderlich.

Bei häufig eingesetzten Medikamenten ist dies aber nicht immer erforderlich und wäre in der Praxis auch kaum durchführbar. Der Arzt muss abwägen, über welche Risiken er aufklären sollte, um dem Patienten eine Mitentscheidung zu ermöglichen.

Über für ein Medikament typische Risiken, insbesondere wenn eine Realisierung dieses Risikos mit ernsthaftengesundheitlichen Folgen verbunden sein kann, muss jedoch unbedingt aufgeklärt werden.

Dies gilt auch, wenn es sich umsehr selten auftretende Nebenwirkungen handelt.

Besonders wichtig sind Aufklärungen immer dann, wenn bei Auftreten von Nebenwirkungen ein dringender Handlungsbedarf entsteht, über den der Patient informiert sein muss.

Führt ein Behandlungsfehlervorwurf immer zu einem Zerwürfnis mit dem Arzt?

Das muss keineswegs sein. Versuchen Sie unbedingt, nach der Enttäuschung und dem ersten Ärger über ein aus Ihrer Sicht unbefriedigendes Behandlungsergebnis auf die Sachebene zurückzufinden. Bedenken Sie dabei, dass Fehler menschlich sind, und dass auch dem besten Arzt Fehler unterlaufen können.

Suchen Sie in jedem Fall zunächst das Gespräch mit dem Arzt. Die meisten Ärzte werden sich einem sachlichen Gespräch nicht verschließen, und in vielen Fällen lassen sich schon dabei die Vorwürfe ausräumen.

Versuchen Sie bei Ihrer Bitte um Erläuterungen, Vorwürfe möglichst zu vermeiden. Wenn trotz der Erläuterung des Arztes Zweifel verbleiben, sollten Sie offen ankündigen, dass Sie eine unabhängige Instanz um eine Klärung bitten werden.

Auf diese Weise lässt sich meistens ein gutes Vertrauensverhältnis bewahren. Bei einer Anrufung der Gutachterkommission hinter dem Rücken des Arztes bestände dagegen das Risiko einer dauerhaften Vertrauensstörung.

Es gibt allerdings auch autoritär veranlagte Ärzte, die einem offenen Gespräch nicht zugänglich sind und die jeden Zweifel an ihrer Tätigkeit als persönlichen Angriff verstehen. In solchen Fällen ist ein Zerwürfnis manchmal nicht vermeidbar. Sie müssen es dann aber auch nicht bedauern, wenn Sie sich einen anderen Arzt suchen müssen.

Infos zur Person

Ich bin Hochschullehrer für Innere Medizin im Ruhestand und habe als Chefarzt für verschiedene internistische Abteilungen im Laufe der Jahre eine breite klinische Erfahrung gewonnen. Schon während dieser praktischen Tätigkeit habe ich mich intensiv mit Fragen des Risikomanagements und der Patientensicherheit in Kliniken befasst und ich habe auch verschiedene andere Kliniken in diese Richtung beraten. Seit mehr als zwölf Jahren bin ich jetzt Mitglied der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler der Ärztekammer Nordrhein. Ich habe dort auch eine große Zahl von Gutachten zu Fragen möglicher Behandlungsfehler erstellt und habe auch einige Entscheidung der Gutachterkommission kommentiert, im Mitteilungsblatt der Ärztekammer publiziert. Im Jahr 2016 habe ich im De Gruyter Verlag in Berlin ein Buch publiziert zum Thema Behandlungsfehler und Arzthaftung mit praktischen Empfehlung für Ärzte und Patienten und auch in diesem Buch habe ich mehrere Entscheidung der Gutachterkommission zitiert und erläutert.

Lebenslauf:

Beruflicher Werdegang

1960 Abitur und Beginn des Medizinstudium in Göttingen und Edinburgh/Schottland
1965 Staatsexamen und Promotion, Universität Göttingen
1972 Facharztanerkennung für Innere Medizin und Habilitation
1977 Außerplanmäßiger Professor
1980 Professor auf Lebenszeit (C3), geschäftsführender
Oberarzt der Medizinischen Klinik und Poliklinik in Göttingen
1986 Direktor der Medizinischen Klinik des Ferdinand- Sauerbruch-Klinikums,
Wuppertal
1997 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin
1999 Lehrstuhlinhaber für Innere Medizin II der Universität Witten/Herdecke
2000 Leiter des Zentrums für Innere Medizin,  Kliniken St. Antonius, Wuppertal,
Akademisches Lehrkrankenhaus der Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf
2003 Präsident des Europäischen Internistenkongresses, Berlin
2005 Pensionierung im Hauptamt
bis 04/2017 Ärztliches Risikomanagement, Stabsstelle Qualitäts- und
Risikomanagement, Hospitalvereinigung St. Marien
bis 2015 Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats am Institut für Qualität und
Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
Mitglied der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AKdÄ)
Mitglied in der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der
Ärztekammer Nordrhein
Träger der Gustav von Bergmann Medaille der Deutschen Ärzteschaft für
Verdienste um die ärztliche Fortbildung

Mitgliedschaften:

Publikationen:

Etwa 300 wissenschaftliche Publikationen zu verschiedenen Themen aus der Inneren Medizin
Publikationen zu Themen von Risikomanagement und Behandlungsfehlern:

  • Köbberling, J.: Das Critical Incident Reporting System (CIRS) als Mttel
    zur Qualitätsverbesserung in der Medizin. Medizinische Klinik. 2005, Bd. 100,
    S. 143-148.
  • Köbberling, J., S. Haffner: Rechtssicherheit und Rechtsapraxis bei der
    Risikoaufklärung vor Arzneimittelgabe. Med. Klinik. 2006, Bd. 101, S.
    516-523.
  • Köbberling, J. und S. Bernges: Critical Incident Reposting System (CIRS)
    – Eine überzeugende Idee, Probleme in der Umsetzung. Med. Klinik. 2007, Bd.
    102, S. 936-938.
  • Köbberling, J. Lernen aus CIRS – eine Kasuistik:Med. Klinik. 2008, Bd.
    103, S. 1-9.
  • Köbberling, J. und E.J. Kratz: Grenzen des hinnehmbaren Diagnoseirrtums.
    Rheinisches Ärzteblatt. Juli 2012, S. 20-21.
  • Weber, B., U. Smentkowski , J. Köbberling: Fehler bei der
    Arzneimittelttherapie. Rheinisches Ärzteblatt. 2013, 6, S. 20-22.
  • Köbberling, J., U. Smentkowski, B. Weber: Indikation, Risikoabwägung und
    Hygiene bei der Injektion homöopathischer Substanzen. Rheinisches
    Ärzteblatt. 2014, 5, S. 29-30.
  • Becker, K., J. Köbberling, J. Noth, J. Reidemeister, K.-J. Schäfer und
    B. Weber: Folgen einer Elektrolytstörung. Rheinisches Ärztebl.:2016, Bd.
    9/2016, S. 23-25.
  • Köbberling, J. und R. von Alpen: Metamizol und Agranulozytose –
    Aufklärungs-pflicht. Rheinisches Ärzteblatt, 2017.

Monographien zu Behandlungsfehlern und Arzthaftung:

  • Köbberling, J.: Behandlungsfehler und Arzthaftung – Praktische Hinweise für Ärzte und Patienten. Berlin : W. de Guyter GmbH, 2016. 978-3-11-047817-4.
  • Köbberling, J.:Diagnoseirrtum, Diagnosefehler, Befunderhebungsfehler – Bewertungen und Vermeidungsstrategien. Karlsruhe : Verlag Versicherungs-wirtschaft mbH, 2013. 978-3-89952-770-4.